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Urteil vom 4. Dezember 2014 (Az: II R 20/14, Veröffentlichung: 25.03.2015) - Wohnungsbegriff i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG
Eine Wohnung i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG ist in einem Studentenwohnheim in Gestalt eines Appartementhauses gegeben, wenn eine Wohneinheit aus einem Wohn-Schlafraum mit einer vollständig eingerichteten Küchenkombination oder zumindest einer Kochgelegenheit mit den für eine Kleinkücheneinrichtung üblichen Anschlüssen, einem Bad/WC und einem Flur besteht und eine Gesamtwohnfläche von mindestens 20 m2 hat.

BUNDESFINANZHOF

Wohnungsbegriff i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG

Eine Wohnung i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG ist in einem Studentenwohnheim in Gestalt eines Appartementhauses gegeben, wenn eine Wohneinheit aus einem Wohn-Schlafraum mit einer vollständig eingerichteten Küchenkombination oder zumindest einer Kochgelegenheit mit den für eine Kleinkücheneinrichtung üblichen Anschlüssen, einem Bad/WC und einem Flur besteht und eine Gesamtwohnfläche von mindestens 20 m2 hat.

BewG § 181 Abs. 9 Satz 4

GrStG § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a und b, § 5 Abs. 2, § 7

Urteil vom 4. Dezember 2014 II R 20/14

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 27. Februar 2014

3 K 2428/12 (EFG 2014, 892)

T e n o r

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 27. Februar 2014 3 K 2428/12 wird als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

G r ü n d e

I.

1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Anstalt öffentlichen Rechts, errichtete zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe, Einrichtungen des studentischen Wohnens zu schaffen und bereitzustellen, ein Studentenwohnheim im Erbbaurecht. In dem Wohnheim befinden sich mehrere jeweils 22,10 m2 große 1-Zimmer-Appartements mit je einem Wohnraum mit eigener Küchenzeile, einer Diele und einem Bad sowie mehrere größere Raumeinheiten, die jeweils aus einem Aufenthaltsraum mit Kücheneinrichtung, zwei Bädern und gesondert abschließbaren Wohnräumen bestehen. Jeder dieser Wohnräume verfügt über eine eigene Klingel und einen Telefon- und Internetanschluss. Die jeweiligen "Zimmer" werden durch die Klägerin vergeben. Die bereits in dem Wohnheim wohnenden Studenten haben dabei kein Mitspracherecht. Die Raumeinheiten dürfen nur als studentischer Wohnraum genutzt werden. Diese Nutzungsbeschränkung ist durch eine im Grundbuch für die Dauer von 50 Jahren eingetragene Dienstbarkeit gesichert.

2. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte für das Studentenwohnheim als Mietwohngrundstück durch Bescheid vom 4. November 2011 im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 2011 einen im Ertragswertverfahren ermittelten Einheitswert von 452.237 € fest. Der Ansicht der Klägerin, das Studentenwohnheim sei von der Grundsteuer befreit, folgte das FA nicht. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos. Das FA erklärte die Feststellung des Einheitswerts in der Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2012 lediglich hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens verfassungsgemäß sind, gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) für vorläufig.

3. Die Klage blieb ebenfalls erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 892 veröffentlicht.

4. Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b i.V.m. § 5 Abs. 2 des Grundsteuergesetzes (GrStG) und des § 181 Abs. 9 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das Studentenwohnheim sei von der Grundsteuer befreit.

5. Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2012 und den Einheitswertbescheid vom 4. November 2011 aufzuheben.

6. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

7. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass das Studentenwohnheim nicht von der Grundsteuer befreit ist und daher die Feststellung eines Einheitswerts i.S. des § 19 Abs. 4 BewG für steuerliche Zwecke von Bedeutung ist.

8. 1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a und b i.V.m. § 7 GrStG ist Grundbesitz, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer inländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient, unmittelbar für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt wird, von der Grundsteuer befreit.

9. a) Grundbesitz, der zugleich Wohnzwecken dient, ist nur unter den in § 5 Abs. 1 GrStG genannten Voraussetzungen von der Grundsteuer befreit. Wohnungen sind gemäß § 5 Abs. 2 GrStG stets steuerpflichtig, auch wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 GrStG vorliegen, also etwa wenn sie zur Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke überlassen werden. Der Gesetzgeber hat damit eine Entscheidung dahin getroffen, dass bei einer Mehrheit von Räumen, die den Begriff der Wohnung erfüllen, stets das Überwiegen des Wohnzwecks anzunehmen und Grundsteuerpflicht gegeben ist. Dies verbietet es, Rechtsträgern i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a und b GrStG eine Grundsteuerbefreiung dann und insoweit zu gewähren, als sie Wohnungen in Verfolgung und in Verwirklichung eines gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecks Dritten überlassen. Diese Einschränkung der Befreiung von der Grundsteuer ist mit dem Grundgesetz vereinbar (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. April 1999 II R 5/97, BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496; vom 15. März 2001 II R 38/99, BFH/NV 2001, 1449, und vom 11. April 2006 II R 77/04, BFH/NV 2006, 1707; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 4. April 1984 1 BvR 1139/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1984, 436).

10. b) Die von der Rechtsprechung entwickelte typologische Umschreibung des bewertungsrechtlichen Begriffs der Wohnung gilt auch für den Wohnungsbegriff i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG (BFHUrteile in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, m.w.N., und in BFH/NV 2006, 1707).

11. Unter einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinn ist die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, dass die abgeschlossene Wohneinheit eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet und die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche oder zumindest ein Raum mit Kochgelegenheit, Bad oder Dusche und Toilette vorhanden sind. Für Bewertungsstichtage ab 1. Januar 1974 ist es zudem erforderlich, dass die als Wohnung in Betracht kommenden Räumlichkeiten eine von anderen Wohnungen oder Räumen baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit mit eigenem Zugang bilden (BFH-Urteile vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151; in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496; in BFH/NV 2001, 1449, und in BFH/NV 2006, 1707).

12. Ist die Führung eines selbständigen Haushalts in einer solchen in sich abgeschlossenen Wohneinheit objektiv möglich, ist die Wohneinheit auch dann als Wohnung zu beurteilen, wenn sie baulich nicht auf die typischen Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten ist oder mehrere Bewohner darin tatsächlich keinen gemeinsamen Haushalt führen (BFH-Urteile vom 30. April 1982 III R 33/80, BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671; in BFH/NV 2001, 1449, und in BFH/NV 2006, 1707). Entscheidend ist, dass fremde Dritte keinen freien Zugang haben (BFH-Urteile in BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671, und in BFH/NV 2006, 1707).

13. c) Eine Wohnung in einem Studentenwohnheim in Gestalt eines Appartementhauses liegt vor, wenn eine Wohneinheit aus einem Wohn-Schlafraum mit einer vollständig eingerichteten Küchenkombination oder zumindest einer Kochgelegenheit mit den für eine Kleinkücheneinrichtung üblichen Anschlüssen, einem Bad/WC und einem Flur besteht und eine Gesamtwohnfläche von mindestens 20 m2 hat (BFH-Urteile vom 17. Mai 1990 II R 182/87,BFHE 160, 335, BStBl II 1990, 705, und vom 21. Juli 1993 II R 75/92, BFH/NV 1994, 410). Für Studentenwohnheime gilt insoweit dasselbe wie für abgeschlossene Appartements in einem Altenheim oder Altenwohnheim, die ebenfalls lediglich eine Gesamtwohnfläche von mindestens 20 m2 haben müssen, um als Wohnung bewertet werden zu können (BFH-Urteil in BFHE 136, 293,BStBl II 1982, 671).

14. d) Aus § 181 Abs. 9 Satz 4 BewG, wonach das Vorhandensein einer Wohnung eine Wohnfläche von mindestens 23 m2 voraussetzt, ergibt sich hinsichtlich der Mindestfläche einer Wohnung für Zwecke der Einheitsbewertung nichts anderes. Diese Vorschrift gilt nach ihrer systematischen Stellung im Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des BewG für die Bewertung für die Erbschaftsteuer ab 1. Januar 2009 und nicht für die Einheitsbewertung, die im Ersten Abschnitt des Zweiten Teils des BewG

geregelt ist. Die Mindestanforderungen an eine Wohnung für Zwecke der Einheitsbewertung werden demgemäß durch § 181 Abs. 9 Satz 4 BewG nicht berührt. Die aus heutiger Sicht geltenden Mindeststandards für das Führen eines selbständigen Haushalts in einer Wohnung und veränderte Wohngepflogenheiten betreffen die Wertverhältnisse und können daher entgegen der Ansicht der Klägerin bei Nachfeststellungen nicht berücksichtigt werden. Für Nachfeststellungen sind gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 27 BewG und Art. 2 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I 1965, 851) i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung bewertungsrechtlicher Vorschriften und des Einkommensteuergesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I 1970, 1118) die Wertverhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 maßgebend.

15. 2. Sowohl die 1-Zimmer-Appartements als auch die größeren Raumeinheiten in dem Studentenwohnheim erfüllen somit die  Voraussetzungen einer Wohnung i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG. Sie weisen die erforderlichen Räumlichkeiten und die notwendige Mindestgröße auf und haben den Zweck, Wohnbedürfnisse zu befriedigen. Sie ermöglichen objektiv die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer. Bei den größeren Raumeinheiten kommt es unabhängig von der jeweiligen konkreten Belegung auf deren Gesamtwohnfläche und nicht auf die Fläche der einzelnen Wohnräume an (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 410). Dass die Türen der jeweiligen Wohnräume gesondert abschließbar sind und jeder Wohnraum über eine eigene Klingel sowie einen eigenen Telefon und Internetanschluss verfügt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies schließt es nämlich objektiv nicht aus, dass in den größeren Raumeinheiten ein selbständiger Haushalt geführt wird, etwa durch ein studentisches Ehepaar mit Kindern.

16. Wie die Rechtsverhältnisse zwischen der Klägerin und den Personen, denen die Räume zu Wohnzwecken überlassen werden, geregelt sind, spielt bewertungsrechtlich keine Rolle; denn für die steuerliche Beurteilung ist allein die objektive Beschaffenheit der Raumeinheiten maßgebend (BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 410; in BFH/NV 2001, 1449, und in BFH/NV 2006, 1707). Die durch Eintragung einer Dienstbarkeit im Grundbuch abgesicherte Nutzungsbeschränkung steht dem Vorliegen von Wohnungen ebenfalls nicht entgegen; denn auch Studenten können in Wohnungen leben.

17. 3. Das Verfahren braucht nicht bis zur Entscheidung des BVerfG über den zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung ergangenen Vorlagebeschluss des BFH vom 22. Oktober 2014 II R 16/13 (Deutsches Steuerrecht 2014, 2438) ausgesetzt zu werden. Da das FA die Feststellung des Einheitswerts in der Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens verfassungsgemäß sind, gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig erklärt hat, droht der Klägerin kein Rechtsverlust (BFH-Urteil vom 3. Juni 2014 II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 27, m.w.N.). Sollte aufgrund einer Entscheidung des BVerfG der Einheitswertbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben oder zu ändern sein, wäre dies aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks von Amts wegen vorzunehmen.

18. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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