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Geschäftsführerhaftung: Überwachungsverschulden und eigenes Unvermögen (Stand: 4/2023)

I. Einleitung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in dem Beschluss vom 15. November 2022 (Az. VII R 23/19) mit folgendem Leitsatz entschieden:

Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.

 

II. Auf einen Blick

Dem Urteil lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war vom Zeitpunkt der Gründung im November 2002 bis zum April 2012 alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH (GmbH). Faktischer Geschäftsführer der GmbH war allerdings der Sohn des Klägers, der formal als Prokurist der GmbH angestellt war.

Ab dem Jahr 2010 führte die Steuerfahndung bei der GmbH eine Fahndungsprüfung durch, welche zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger und sein Sohn in den Jahren 2007 bis 2011 Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2004 bis 2011 verkürzt hätten. Dabei habe der Kläger in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass sein Sohn als faktischer Geschäftsführer 67 Scheinrechnungen tatsächlich nicht existierender Firmen und 34 beleglose Buchungen für angebliche Wareneinkäufe und Fremdleistungen in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage der jeweiligen Jahressteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht habe.

Das gegen den Kläger wegen Steuerhinterziehung eingeleitete Strafverfahren wurde in 2013 gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Der Sohn des Klägers wurde wegen Steuerhinterziehung und weiterer Delikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 2013 auf Antrag des Finanzamts das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Haftungsbescheid nahm das Finanzamt im Jahr 2014 den Kläger wegen Steuerschulden der GmbH für den Zeitraum 2005 bis 2012 in Regress. Der Sohn des Klägers als faktischer Geschäftsführer und der Enkel als Nachfolgegeschäftsführer wurden ebenfalls mit Haftungsbescheiden in Regress genommen.

In der Einspruchsentscheidung des Einspruchsverfahrens gegen den Haftungsbescheid reduzierte das Finanzamt die Haftungssumme nach Schätzung einer Haftungsquote von rd. 82 %. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Gestützt wurde die Haftung nunmehr nur noch auf § 69 i.V.m. § 34 AO.

Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte keinen Erfolg.

 

III. Im Detail

Nach Auffassung des BFH war der angefochtene Haftungsbescheid gemäß § 191 AO gegenüber dem Kläger rechtmäßig.

Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Gemäß § 69 Satz 1 AO, § 34 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG haftet der Geschäftsführer einer GmbH, soweit deren Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt.

Der Kläger hatte diese Pflichten durch Nichtabgabe der Steuererklärungen zur Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer für das Jahr 2009 sowie durch Abgabe unzutreffender Steuererklärungen zur Körperschaftsteuer für die Jahre 2003 bis 2008 und 2010 und zur Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2008 und von 2010 bis zum ersten Quartal 2012 objektiv verletzt. Ferner hatte er nicht dafür gesorgt, dass die fälligen Steueransprüche erfüllt wurden.

Entgegen seiner Auffassung entlastete ihn nicht der Umstand, dass die Geschäfte der GmbH tatsächlich durch den Sohn geführt worden sind. In vorangegangener Rechtsprechung hatte der BFH schon entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH nicht verpflichtet sei, die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen. Vielmehr sei er grundsätzlich befugt, die Erledigung anderen Personen zu übertragen. Gleichwohl darf der Geschäftsführer aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will. Er sei daher verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Er müsse sich insbesondere ständig so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten lassen, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen könne bzw. dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar würde. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der BFH regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") eingestuft, wenn er auch betont hat, dass die Entscheidung, welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf andere überträgt, weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhängt. An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers müssen dabei umso größere Anforderungen gestellt werden, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden konnte, ob die für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft hinzugezogenen Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft bieten (s. ausführlich Senatsbeschluss vom 05.03.1998 - VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325, unter II.1., m.w.N.; ebenso BFH-Beschluss in BFH/NV 2019, 100, Rz 33; Senatsbeschluss vom 20.02.2001 - VII B 111/00, BFH/NV 2001, 1097, unter II., und Senatsurteil vom 30.08.1994 - VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278, unter 3.; vgl. auch Jatzke in Gosch, AO § 69 Rz 31 f.; Loose in Tipke/Kruse, § 69 AO Rz 31; Boeker in HHSp, § 69 AO Rz 42; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl., § 69 Rz 122, jeweils m.w.N.).

Darüber hinaus könne sich der Kläger wegen einer schuldhaften Pflichtverletzung nach Auffassung des BFH nicht mit dessen fortgeschrittenen Alter verbunden Einwand exkulpieren, dass er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen.

Auf das eigene Unvermögen, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen, könne sich dabei niemand berufen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, müsse von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. das Geschäftsführersamt niederlegen. Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernimmt, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen (s. wiederum Senatsbeschluss in BFH/NV 1998, 1325, unter II.1., m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2019, 100, Rz 34; Senatsbeschluss vom 12.05.2009 - VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, unter 2.a; Klein/Rüsken, a.a.O., § 69 Rz 150).

 

IV. Auswirkung auf die Praxis

Das vorstehende Urteil des BFH bestätigt erneut die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Aufgaben eines GmbH-Geschäftsführers – insbesondere mit Blick auf die steuerlichen Pflichten im Bereich der Lohn-, Umsatz- und Ertragsteuern – sind mannigfaltig. Eine alleinige Bewältigung durch den Geschäftsführer kann im Einzelfall oft überfordernd werden. Die Gründe hierfür können in den persönlichen Voraussetzungen als auch in der Überwachung von eingesetztem Personal, welchem zur Unterstützung des Geschäftsführers Aufgaben aus der Geschäftsführung übertragen worden sind, liegen. Dies gilt im Übrigen auch, wenn der Geschäftsführer Dienstleistungen eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe zu Erfüllung der steuerlichen Pflichten in Anspruch nimmt. Aus diesem Grund ist eine konsequente Weiterbildung des Geschäftsführers sowie die ständige und engmaschige Überwachung von Hilfspersonen unerlässlich. Die Finanzverwaltung prüft in jüngster Vergangenheit verstärkt eine sog. „Durchgriffshaftung“ auf den Geschäftsführer bei vorsätzlichen und grob fahrlässigen Verstößen gegen steuerliche Pflichten. Um eine solche Haftung zu vermeiden, empfiehlt sich die Installation eines entsprechenden Risiko-Management-Systems durch die Geschäftsführung.

Für Rückfragen und weitere Informationen stehen Ihnen unsere Ansprechpartner unter der Telefonnummer 02204 9508- 100 gerne zur Verfügung.

Hierdurch weist der BFH die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30. April 2019 (Az. 12 K 620/15) als unbegründet zurück.

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