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Kein Wegfall der Erbschaftsteuerbefreiung bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims (Stand 08/2022)

I. Einleitung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit dem am 4. August 2022 veröffentlichten Urteil vom 1. Dezember 2021 (Az. II R 1/21) in den Leitsätzen wie folgt entschieden:

  1. „Der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims ist aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus.
  2. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen.“


II. Auf einen Blick

Hinterlässt ein Erblasser die von ihm bis zu seinem Tod selbstgenutzte Immobilie (das sog. „Familienheim“) dem überlebenden Ehepartner oder seinen Kindern, bleibt dieser Erwerb unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich erbschaftsteuerfrei. Dafür muss der Erbe nach dem Erbanfall das Familienheim unverzüglich für mindestens 10 Jahre selbst bewohnen. Werden die Voraussetzungen im Zeitablauf nicht mehr erfüllt, entfällt die Steuerbefreiung grundsätzlich rückwirkend (sog. Nachversteuerungstatbestand). Eine Ausnahme besteht, wenn der Erbe an einer Selbstnutzung zu eigenen Zwecken aus zwingenden Gründen gehindert ist. Der BFH hat nun in dem vorstehend genannten Urteil erneut (siehe bereits @PL Blogbeitrag vom 13. Juli 2022 / @Ka den Beitrag aus 7/2022) entschieden, dass ein Erbe dann nicht rückwirkend die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim verliert, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist.  


III. Im Detail

1. Grundlegendes

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG bleibt der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstücks durch den überlebenden Ehegatten oder den überlebenden Lebenspartner steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Die Steuerbefreiung entfällt jedoch mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu eigenen Wohnzwecken nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert.

Zieht der überlebende Ehepartner jedoch aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der BFH nun erneut mit Urteil vom 1. Dezember 2021 (Az. II R 1/21) zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG entschieden. Gleiches gilt für die Steuerbefreiung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, die erbende Kinder begünstigt (vgl. dazu BFH Urteil vom 1. Dezember 2021 – II R 18/20 - siehe bereits den Beitrag aus 7/2022).


2. Urteilssachverhalt

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt. Nach dem Tod des Ehemanns wurde die Klägerin aufgrund des Testaments Alleineigentümerin des Einfamilienhauses. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt sowie dem Finanzgericht erfolglos darauf, dass sie aus zwingenden gesundheitlichen Gründen (depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes verschlechterte) und auf ärztlichen Rat das bewohnte Einfamilienhaus verlassen habe. Das Finanzgericht war der Auffassung, dass keine zwingenden Gründe für den Auszug der Klägerin vorgelegen hätten, da dieser nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei.

Der BFH hat nun im vorliegenden Urteil das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG die Selbstnutzung geerbten Familienheims durch den Erben für zehn Jahre voraus, es sei denn, dieser ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Eine Unzumutbarkeit könnte daher gegeben sein, wenn der Erbe durch den Verbleib im Familienheim eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands zu erwarten habe. Das Finanzgericht muss deshalb nun im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich der Schwere und des Verlaufes prüfen.


IV. Ausblick und Auswirkung auf die Praxis

Die Entscheidung des BFH reiht sich in die jüngsten Rechtsprechungen zum Thema Steuerbefreiung bei Familienheimen ein und verdeutlicht einmal mehr die mannigfaltigen Praxisprobleme in diesem Bereich. Mit seinem neuen Urteil stellt der BFH erneut klar, dass bei der Überprüfung, ob der Erwerber an der Selbstnutzung gehindert ist, neben der Unmöglichkeit zwingend auch die Unzumutbarkeit geprüft werden muss. Diese ist einzelfallbezogen zu prüfen und bedarf auch der Berücksichtigung gesundheitlicher Gründe. Da die Feststellungslast ausschließlich der Erwerber trägt, ist für die Beratungspraxis daher anzuraten, entsprechende Dokumentationen über den Gesundheitszustand des Erwerbers/der Erwerberin frühestmöglich zu erstellen. Regelmäßig wird dies einer ärztlichen Begutachtung bedürfen.

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